Buch des Monats im Dezember 2021

Blaue Frau

Autorin/Autor:  Antje Ràvik Strubel
Einband: Gebundene Ausgabe
Erscheinungsdatum: 11.08.2021
Verlag: S. Fischer Verlag
Seitenzahl: 0
Auflage: 4. Auflage

Vorgestellt von Sabine Schmidt

Der diesjährige Deutsche Buchpreis ging an Antje Ràvik Strubel für ihren Roman "Blaue Frau". Die 1974 in Potsdam geborene Autorin und Übersetzerin hat schon zahlreiche Romane veröffentlicht, unter anderem auch "Sturz der Tage in die Nacht", mit dem sie bereits 2011 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand. Darüber, dass Frau Strubel den Preis in diesem Jahr nun gewonnen hat, freue ich mich sehr, denn "Blaue Frau" ist ein starkes, ein wichtiges Buch und erreicht vielleicht durch die Verleihung des Preises noch mehr Leserinnen und Leser, als es sonst der Fall gewesen wäre.

In "Blaue Frau" erzählt die Autorin die Geschichte der jungen Tschechin Adina, die, um Deutsch zu lernen, nach Berlin kommt und dort die charismatische Fotografin Rickie kennenlernt. Rickie verschafft Adina eine Praktikumsstelle in einem kleinen Ort in der Uckermark, wo ein besonderes Kulturhaus und somit auch Arbeitsplätze für die Region entstehen sollen. Dafür benötigt ihr Arbeitgeber Razvan Stein jedoch eine Menge Fördergelder. Die hofft er durch den Westdeutschen Johann Manfred Bengel zu bekommen, der in politischen Kreisen sehr einflussreich zu sein scheint. Als Bengel Stein in der Uckermark besucht, um ein gemeinsames Projekt zu planen, lernt Bengel Adina kennen und findet Gefallen an der jungen Frau. Adina jedoch fürchtet Bengel … zu Recht, denn als sie seine Annäherungsversuche zurückweist, vergewaltigt er sie.

Niemand mag der jungen Frau Glauben schenken, als sie sich verzweifelt an ihren Arbeitgeber wendet. Zuviel steht auf dem Spiel, der Einfluss Bengels reicht zu weit. Völlig traumatisiert flieht Adina nach Helsinki und arbeitet dort schwarz in einem Hotel. Hier lernt sie den Esten Leonides kennen, der sich als Abgeordneter der EU für Menschenrechte stark macht. Ganz langsam nähern sich die beiden einander an, doch als Leonides Adina mit auf einen Empfang nimmt, erkennt sie in einem der Gäste Johann Manfred Bengel und flieht erneut. Antje Ràvik Strubel erzählt diese Geschichte nicht chronologisch. Sie unterteilt ihren Roman in vier Kapitel und beginnt mit Adinas Zeit in Helsinki und auch in Helsinki endet ihr Roman. In jedem Kapitel wird der Erzählfluss unterbrochen mit eingeschobenen Dialogen einer "einer blauen Frau" und einer Ich-Erzählerin, bei der nicht ganz klar ist, ob es sich hier um Antje Ràvik Strubel selbst oder vielleicht um Adina handelt. Diese Dialoge muten philosophisch, bisweilen surreal an und werden mehr und mehr Teil von Adinas Geschichte. Wenn die blaue Frau auftaucht, muss die Erzählung innehalten. Und vielleicht ist Adinas Geschichte auch nur mit diesem "Innehalten" zu ertragen? Ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihr Abgespalten sein von sich selbst, ihre Unsichtbarkeit, denn niemand will sehen oder hören, was ihr widerfahren ist. Woher soll sie die Kraft nehmen, sich zu wehren, ihren Vergewaltiger vor Gericht zu bringen, wieder zu sich selbst zu finden, zu überleben?

Antje Ràvik Strubel erzählt in diesem Roman nicht allein Adinas Geschichte, die die Geschichte so vieler, zu vieler Frauen sein könnte, sondern sie schreibt auch über das Ungleichgewicht zwischen Ost und West, nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb Europas. Sie schreibt über die Arroganz von vermeintlich Mächtigen und darüber, wie Macht missbraucht wird. Ihr Ton ist eher kühl, manchmal fast distanziert , doch genau dadurch gelingt es ihr auf sehr subtile Weise, dass dieser Roman so lange nachklingt. Ein starkes, ein wichtiges Buch.



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