Presse-Echo - Dezember 2018

Rapp gegen neuen Rassismus

VÖHL. "Menschen leiden, doch es wird wieder weggeblickt", singt Kutlu Yurtseven von der Kölner Band "Microphone Maffia" auf der Bühne der Vöhler Synagoge in seinem türkischen Song "Insanlar" (deutsch: Menschheit), und er rappt gegen Rassismus und neue Fremdenfeindlichkeit. "Wenn wir weiter schweigen, wird uns dieses Schweigen selber erschlagen!"

Die zierliche Frau neben ihm, 1,47 Meter groß, die in wenigen Tagen ihren 94. Geburtstag feiern wird, Esther Bejarano, swingt und singt kraftvoll mit, getragen von den wummernden Bassläufen ihres Sohnes Joram an der E-Gitarre. "Dass wir hier stehen und seit zehn Jahren gegen Unrecht und Hass ansingen, ist meine späte Rache an den Nazis", sagt sie wenig später. Ihr Konzert in Vöhl ist besonders dem Gedenken an die Opfer der NS-Pogrome vor 80 Jahren gewidmet.

Der pomadige Filmschlager "Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami" von 1939, gespielt auf einem geliehenen Akkordeon, hat ihr das Leben gerettet, als im Todeslager Ausschwitz im Juni 1943 weibliche Häftlinge für das "Mädchenorchester" gesucht wurden. Auch dieses Lied singt sie in Vöhl mit unerschütterlicher Energie und so fröhlicher Distanz, dass schließlich das Publikum einzustimmen wagt. "Wir leben trotzdem! Wir sind da!"

Widerstand, Mut, Hoffnung, Kampf gegen neuen Faschismus - das sind die Themen, die Esther Bejarano in ihren Friedens-, Arbeiter- und Partisanenliedern anschlägt. Zu Beginn des Abends in der voll besetzten Vöhler Synagoge hat sie aus ihren "Erinnerungen" gelesen, ihre Qualen geschildert, wenn sie Musik machen musste, während die Arbeitskolonnen aus dem Tor des Lagers Birkenau zogen. "Immer nur diese schrecklichen Märsche!" Und sie schildert ihre wundersamen Rettungen als "Viertelarierin" bis zur Befreiung 1945.

Kutlu Yurtseven und Joram Bejarano sind stolz auf die alte Dame. Sie kommt kaum dazu, zwischen den Songs am Pfefferminztee zu nippen, den ihr Anna Evers auf die Bühne gebracht hat. "Wie viele rappende Uromas gibt es sonst noch auf der Welt?" fragt liebevoll Kutlu. Vor zwei Jahren War bei ihrem Auftritt in Vöhl noch ihr Bandfreund Rossi Pennino dabei, wesentlich jünger - aber ihm war das Touren zu anstrengend geworden.

Beim Schlusslied "Bella Ciao", dem weltbekannten Partisanenlied aus Italien, singt das Publikum auf ihre Einladung hin mit. "Ich bewundere diese Stärke! Wir sind betroffen, mitgenommen", gesteht Karl-Heinz Stadtler vom Förderkreis Synagoge Vöhl, als er Esther Bejarano zusammen mit Ingo Hoppmann vom mitveranstaltenden Verein "Lesebändchen" der Stadtbücherei Korbach mit einem Blumenstrauß verabschiedet. Das Publikum feiert die drei Künstler mit stürmischem Beifall im Stehen. Esther Bejarano bleibt, ein wenig erschöpft, noch eine Weile auf der Bühne sitzen. Sie nimmt sich Zeit, beantwortet Fragen. Das ist ihr Anliegen.

Bearbeiten

Powered by G. Wagner, Korbach
Erstellt mit pure html 5, css, bootstrap und php

© 2007 - 2024 by Lesebändchen e.V., Korbch
email